Hörtest Grado – The White Headphone

Der amerikanische Hersteller GRADO LABS präsentiert aktuell einen neuen dynamischen Kopfhörer mit einer musikalisch recht geschichtsträchtigen Bezeichnung – THE WHITE HEADPHONE.

Der Name des limitierten Ohrlautsprechers der kleinen High-End Manufaktur aus Brooklyn ist selbstverständlich eine Homage an das 9. Studioalbum „The Beatles“, welches 1968 ob der spartanisch weißen Gestaltung unter dem Titel „The White Album“ weltweit Bekanntheit erlangte. Passt aber zweifellos auch ganz ausgezeichnet in die vorweihnachtliche Jahreszeit.  

Und ebenso wie das schlichte Plattencover fasziniert auch das WHITE HEADPHONE durch eine reduzierte Formensprache und ein eher puristisches Design. Die erstmalig von weißem Lack überzogenen Ahornholzgehäuse dokumentieren bereits optisch das Bestreben der New Yorker, bei ihrem neuesten Werk einen außergewöhnlichen Weg zu beschreiten. 

Der mit einem Gewicht von lediglich 250 Gramm sehr leichte Kopfhörer verfügt zudem über ein angenehm breites Kopfband aus schwarzem Nappaleder mit weiß abgesetzten Steppnähten und begeistert, auch bedingt durch den moderat gewählten Anpressdruck, infolgedessen mit einem exzellenten Tragekomfort. 

Der neue GRADO ist darüber hinaus mit den 50 mm messenden Top-Treibern der Signature-Serie ausgestattet, ebenso wie mit einem kompakt gestalteten Belüftungssystem, welches aufgrund auffällig kleinerer Austrittsöffnungen eine leicht unterschiedliche Tonalität im Vergleich zu der gewohnten klanglichen Signatur des Herstellers erwarten lässt.

THE WHITE HEADPHONE unterscheidet sich somit nicht nur hinsichtlich des einzigartigen Erscheinungsbildes von allen bisherigen Modellen der Amerikaner – es musiziert offensichtlich auch auf etwas andere Art und Weise. 

Denn der neue Ohrlautsprecher kokettiert auch akustisch in gekonnter Manier mit der Retrospektive auf die späten 60’er Jahre, ohne dabei die Pfade einer neutralen Wiedergabe gänzlich zu verlassen. 

Der Sound der Rolling Sixties

Bereits die ersten Takte Musik machen schnell klar, dass THE WHITE HEADPHONE trotz klanglicher Modifikation nach wie vor und eindeutig als Produkt der New Yorker Manufaktur zu identifizieren ist.

Und selbstverständlich habe ich standesgemäß als ersten Track „Back in the U.S.S.R.“ vom White Album der Beatles aus dem Jahre 1968 gewählt und wundere mich in Folge ob der doch leicht kratzigen und zudem etwas mitteltonlastigen Reproduktion über den schmucken weißen Over Ear Kopfhörer. 

Die Aufnahme besitzt zweifellos Charme, führt mir zugleich aber auch unmissverständlich zu Ohren, dass die Rolling Sixties eben schon ein Weilchen her sind. Trotz klangoptimierter weil neu remasterter EMI-Version aus dem Jahre 2015. 

Ok, kein Problem – ich bin sowieso eher DOORS Fan. Und der Klassiker „Riders on the Storm“ vom legendären Album LA Woman (1971) der amerikanischen Rockband, natürlich in HIGH-RES Auflösung und veröffentlicht 2012 von Rhino-Elektra, wird es schon richten. 

Und tatsächlich – THE WHITE HEADPHONE fängt die melancholisch düstere Atmosphäre unter der Leitung des Toningenieurs Bruce Botnick im „DOORS Workshop“ in Los Angeles nahezu perfekt ein. Selbst die auf einem Fender-Rhodes nachgeahmten Regengeräusche werden sehr differenziert wiedergegeben. Der neue GRADO gefällt speziell bei älteren Aufnahmen mit einem leicht röhrig angehauchten und farbenprächtigen Klangbild. 

Außerdem begeistert der amerikanische Ohrlautsprecher nach wie vor durch ein großartiges räumliches Abbildungsvermögen. Musikalische Ereignisse werden nicht nur punktgenau und scharf umrissen im räumlichen Kontext reproduziert, sondern auch jederzeit mit genügend Luft zwischen den einzelnen Akteuren versehen. 

Wenn Jim Morrison „Live at the Bowl 68“, ebenfalls 2012 erschienen unter dem Label Rhino-Elektra, sein auf siebzehn Minuten erweitertes Opus „The End“ live zelebriert, stehen mir in Kombination mit dem GRADO jedenfalls zeitweilig die Nackenhaare zu Berge.

Bedingt durch die verkleinerten Öffnungen an den Außenseiten der Treibergehäuse werden Stimmen und Instrumente mit einem warmen und leicht dunkleren Timbre versehen, was dem klanglichen Gesamteindruck allerdings keinerlei Abbruch tut – die Tonalität wirkt in sich durchweg kohärent.

Und durch die emotional geladene Wiedergabe vermittelt THE WHITE HEADPHONE ganz einfach Spass an der Musik. So muss das sein.  

Der Retro Kopfhörer kann auch Neuzeit

Voraussetzung dafür ist nichtsdestotrotz eine gewisse Qualität der entsprechenden akustischen Kost. Denn wirklich schlechte Aufnahmen vermag auch dieser GRADO nicht vollumfänglich zu retten. Und selbstverständlich – kann der Retro-Ohrlautsprecher auch Neuzeit. 

Der Bass ist markentypisch dabei eher von schlanker Natur, überzeugt aber im Gegenzug mit einer exorbitant hohen Impulstreue, insbesondere für einen dynamischen Kopfhörer. 

Und obgleich auch der neuesten Kreation der Amerikaner im Tiefbassbereich IMO ein wenig zu früh die Luft ausgeht, legt THE WHITE HEADPHONE im mittleren- und oberen Bassbereich selbst im Vergleich zum höher eingepreisten GS1000E aus der Statement-Serie drucktechnisch sogar noch eine kleine Schippe drauf.

Ein hoch transparenter und gleichsam plastischer Mitteltonbereich war immer eine der größten Stärken aller GRADO Kopfhörer und auch THE WHITE HEADPHONE folgt dieser langen Tradition – ohne wirklich nennenswerte Einschränkungen ob der neuerlichen klanglichen Ausrichtung. 

Denn sicherlich schält ein GRADO GS3000E noch eine winzige Spur mehr Details aus jedwedem klanglichen Dickicht heraus, zudem verbunden mit der noch besseren Durchhörbarkeit des musikalischen Geschehens im Präsenzbereich. Allerdings auch zu einem deutlich anderen Preispunkt. 

Die Hochtonwiedergabe des GRADO wirkt dazu jederzeit entspannt und frei einer ungebührlich scharfen Sibilantenreproduktion. Gleichwohl ist das Auflösungsvermögen in diesem Frequenzbereich auf hohem Niveau. Der New Yorker Ohrlautsprecher umgarnt den Gralsritter des Klanges mit einem grandios gesponnenen Netz an feinen Hochtoninformationen und authentisch ausklingenden Nachhallfahnen.

Und auch dynamisch lässt THE WHITE HEADPHONE absolut nichts anbrennen. Aufgrund des recht hohen Wirkungsgrades von 98 dB/mW ist der Kopfhörer auch einer längerfristigen Liaison mit leistungsschwächeren Spielpartnern nicht abgeneigt. 

Bereits ein FIIO M11 PRO treibt den GRADO mit ausreichend Verve an. An einem QUESTYLE CMA TWELVE (MASTER) läuft der Ohrlautsprecher sodann zur Hochform auf und begeistert den Zuhörer mit explosiver Dynamik und Attacke. 

Wer allerdings in erster Linie eine eher „entschlackte“ Reproduktion seiner musikalischen Schätzchen präferiert, sollte THE WHITE HEADPHONE bei einem potentiellen Kaufinteresse zunächst besser ausgiebig Probehören. Denn die typische GRADO Klangsignatur ist und bleibt halt Geschmacksache.

Für den engagierten GRADO Sammler ist der in Deutschland auf nur 64 Exemplare limitierte Kopfhörer allerdings fast schon ein Pflichtkauf. Für Beatles Fans sowieso. Zumal er mit einem Kaufpreis von 899,- € das weihnachtliche Budget des Gralsritters auch nicht über alle Gebühr strapaziert.

Und THE WHITE HEADPHONE erhält überdies auch meine persönliche Empfehlung. Denn ich mag diesen anachronistischen Ohrlautsprecher aus Brooklyn ganz einfach. Und natürlich die Musik, welche er IMO liebenswert emotional vermittelt.

Weitere Informationen zum neuen GRADO erhaltet ihr im Übrigen auf den Seiten des deutschen Vertriebes High Fidelity Studio unter: Grado – The White Headphone

Euer Fidelio

Meine Wertung

Klangqualität (60%) : 3 von 5 Ohren
Tragekomfort (20%) : 3 von 5 Ohren
Verarbeitung (20%) : 3 von 5 Ohren

(*) Die Testberichte auf Musicalhead geben ausschließlich meine persönliche Meinung zum Produkt wieder. Es handelt sich hierbei um redaktionelle Beiträge, welche aber durchaus eine werbende Wirkung beim Leser erzielen könnten, ohne dass ich von einem Unternehmen damit beauftragt wurde.


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